Fortschritt oder Finale?

Künstliche Intelligenz – bringt sie Fortschritt oder ist sie das Finale? Unser Mindset entscheidet.

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gelesen von Wilfried Strecke

Unsere Menschheit steht am Beginn einer neuen Ära – ja vielleicht hat sie die Schwelle zu ihr bereits überschritten. Die rasanten Entwicklungen im Bereich der Künstlichen Intelligenz (KI) haben nicht nur unsere Vorstellungskraft übertroffen, sondern auch fundamentale Fragen aufgeworfen: Haben wir den «Point of no return» bereits überschritten?

Ähnlich wie Elektrizität oder das Internet scheint KI bereits tief in den Alltag unserer Gesellschaft eingesickert zu sein – leise, effizient, unausweichlich. In weiten Teilen nicht mehr wegzudenken. Und wie bei jenen früheren Umbrüchen, ausgelöst durch die Verbreitung der Elektrizität und des Internet, wird eine Rückkehr zur «Welt davor» kaum mehr möglich.

Gerade findet vor unseren Augen ein Wandel statt, dem die meisten von uns recht gelassen zusehen.

Was bedeutet das aber für uns Menschen – als Einzelne, als Gesellschaft, als geistige Wesen?

Die Dampfmaschine hat uns von körperlicher Arbeit befreit. Sie hat uns die physische Arbeit genommen. Und die Künstliche Intelligenz beginnt nun, uns von der geistigen Arbeit zu befreien. Sie nimmt uns die intellektuelle Arbeit. Texte schreiben, Daten analysieren, Entscheidungen vorbereiten – einst Intelligenzleistungen, welche wir durch Bildung und lebenslanges Lernen erreichten, werden heute in Sekunden von Maschinen erledigt.

Es stellt sich die provokante Frage: Wie weit macht der Erwerb von Wissen überhaupt noch Sinn, wenn jede Information jederzeit abrufbar, analysierbar, interpretierbar ist? Wenn sich Bildung zunehmend auf das Navigieren in Datenfluten und das Erkennen von Mustern in maschinell erzeugten Ergebnissen beschränkt – wo bleibt dann der Mensch als wissbegieriges, suchendes, wachsendes Wesen? Was soll im Rahmen der Bildung künftig noch vermittelt werden?

Die fehlende physische Arbeit suchen wir – auf für den Körper gesunde Art – mit Fitness wettzumachen. Wie werden wir den Wegfall der intellektuellen Arbeit auf für uns gesunde Art wettmachen? Mit dem Lösen von Sudokus und Kreuzworträtseln wird uns das wohl kaum gelingen. Werden die Generationen nach uns herausfinden, dass die intellektuelle Arbeit, wie wir sie heute noch leisten, für unsere Spezies schädlich war, lebensverkürzend wie einst die harte, physische Arbeit in den Fabriken? Werden «Brain Gyms», Fitnesscenter für unseren Denkapparat, entstehen?

Die Geschichte zeigt, dass technologische Revolutionen stets alte Arbeitsfelder vernichteten und neue schufen. Doch mit KI könnte dieser Zyklus enden. Denn viele der heute bedrohten Tätigkeiten lassen sich nicht einfach ersetzen – sie verschwinden. Allfällig neuen Aufgaben hingegen entstehen vermutlich in staatsnahen, administrativen Strukturen: Kontrolle, Regulierung, Bewertung, Überwachung. Tätigkeiten also, die keinen gesellschaftlichen oder volkswirtschaftlichen Mehrwert schaffen, sondern eher dazu beitragen, die Verwaltung weiter aufzublähen. Ein paradoxer Fortschritt: Wir verlieren kreative, produktive Arbeit und gewinnen Überwachung und Kontrolle.

Man schätzt, dass durch Künstliche Intelligenz innerhalb der nächsten acht bis zehn Jahre weltweit etwa 300 Mio. Arbeitsplätze verloren gehen werden. Hochgerechnet auf schweizerische Verhältnisse ergäbe dies eine noch nie dagewesene Arbeitslosenquote. Die Entwicklung würde nicht Berufe mit sogenannt einfachen Tätigkeiten betreffen, sondern insbesondere Berufe, die heute von der Ausbildung her anspruchsvoll sind oder die gar ein weiterführendes Studium erfordern. Denken wir nur an Diagnose, Problemanalyse, komplexe Planung usw.

Hinzu kommt: Künstliche Intelligenz ist keine einfache Maschine. Sie ist sehr menschenähnlich – nicht im Körper, sondern im Verhalten. Sie lernt, kombiniert, überrascht. Sie ist eine Blackbox, deren innere Prozesse selbst den Entwicklern nicht (mehr) vollständig zugänglich sind. Man gibt eine Frage ein – und erhält eine Antwort, die rational nachvollziehbar erscheint, aber nicht deterministisch erklärbar ist. In dieser Unberechenbarkeit liegt ein Moment des Unheimlichen, vielleicht auch der Faszination: Wir kennen nichts Vergleichbares – ausser uns selbst.

Doch so nah KI dem Menschen zu kommen scheint, ein entscheidender Unterschied bleibt bestehen: Bewusstsein. Künstliche Intelligenz wird niemals Bewusstsein erlangen. Denn Bewusstsein ist mehr als das Aneinanderreihen von Daten, mehr als Mustererkennung oder Reaktionsfähigkeit. Es ist die Fähigkeit, sich mit etwas zu verbinden, das jenseits der messbaren Welt liegt. Eine Dimension, die nicht im Code steckt, nicht im Algorithmus, nicht in der Logik. Bewusstsein bedeutet unter anderem Fragen zu stellen, deren Antworten nicht in Datenbanken liegen – und manchmal nicht einmal in Worten oder Gedanken. Was Bewusstsein ist, ist wissenschaftlich noch nicht vollständig geklärt.

Wie Einstein die Relativitätstheorie entdecken konnte, ist aus Sicht der Hirnforschung nicht erklärbar. Das menschliche Gehirn ist, ähnlich der KI, nur in der Lage vorhandenes Wissen zu verfeinern und auf alle möglichen Arten neu zu vernetzen. Woher kam Einsteins Input? Er selbst schrieb ihn der Intuition zu. Dafür blieb er zeitlebens demütig und dankbar, im Wissen, «einen Impuls von aussen» erhalten zu haben.

Was bleibt uns Menschen, wenn uns physische und intellektuelle Arbeit genommen werden? Intuition ist das, was uns bleibt. Intuition war schon immer die Eigenschaft, die die Menschheit massgeblich weitergebracht hat. Wir müssen uns auf sie besinnen. Wir müssen sie wiederentdecken, wieder lernen, wie man sie anzapft.

Wir sind Menschen, die inmitten von Maschinen Mensch bleiben – durch Bewusstsein, durch Werte, durch Geist, durch Intuition.

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