
Mag Dich Schmerz oder Freude hin und her tragen – vergiss nicht: Wie die Welle stets Wasser bleibt, bleibst auch Du stets Du selbst.
Inspiration: Thích Nhất Hạnh
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Die Geschichte
Der Abend senkt sich still über den See. Nur hin und wieder kräuselt eine Windböe die glatte Oberfläche, als wolle sie eine Erinnerung schreiben, die gleich wieder vergeht.
Jonas sitzt am Ufer, die Arme um die Knie geschlungen. Sein Atem geht flacher als sonst, seine Gedanken sind müde vom ewigen Kreisen. Ein Tag voller Stimmen, Erwartungen, Niederlagen. Ein Tag, der zu schwer war, um ihn einfach abzulegen.
Neben ihm bückt sich Luca wortlos nieder, hebt einen Stein auf und lässt ihn ins Wasser fallen. Ein leises «Plopp», dann wellenförmige Kreise, die auseinanderlaufen, weiter und weiter, bis sie wieder eins werden mit der stillen Weite des Wassers.
«Manchmal fühlt es sich an, als wären wir diese Wellen.», sagt Luca. Jonas schweigt. Er weiss, was Luca meint. Dieses ewige Auf und Ab, dieses Ziehen und Zerren am eigenen Innersten. Dieses Hin und Her.
«Aber das sind wir nicht», fährt Luca fort. «Wir sind das Wasser darunter. Die Welle hebt sich, sie bricht, sie vergeht. Doch sie bleibt immer Wasser.»
Jonas lässt die Worte in sich fallen wie den Stein ins Wasser. Er antwortet nicht. Man muss nicht auf alles antworten.
Die Sonne sinkt tiefer, goldene Schatten tanzen auf der Haut des Sees.
Luca klopft ihm leicht auf die Schulter. «Pass auf dein Wasser auf», sagt er leise und zieht mit langsamen Schritten davon.
Das Erinnern
Jonas bleibt. Er lauschte dem Atem des Sees, dem Atem der Welt, seinem eigenen Atem.
Er sieht den Wellen zu, die aus dem Nichts auftauchten, sich verformen, sich verlieren. Und er spürte, wie sich etwas in ihm löst – ein letztes Festhalten an der Idee, dass er kämpfen müsse gegen das Fallen und gegen das Fliessen. Vielleicht ist das Leben kein Aufstieg und kein Abstieg. Vielleicht ist es ein Erinnern. An das, was niemals zerbricht, auch wenn sich alles stetig verändert.
Er war nicht der Moment des Hochs.
Nicht der Moment des Sturzes.
Er war das Wasser, das alles trägt.
Ein zaghaftes Lächeln steigt in ihm auf, kaum spürbar und doch echt. Der See liegt still. Er ist Wasser. Und in dieser Stille erkennt Jonas: «Ich bin in mir selbst zuhause, wie das Wasser das trotz der Welle Wasser bleibt.»